Wissenschaftliche Erkenntnisse

Überblick

Vergleich von Achtsamkeit und sportpsychologischen Maßnahmen 

„Vergleicht man Achtsamkeitstraining mit gängigem Mentaltraining, so könnte man subsumieren, dass Mentaltraining Aspekte des Geistes trainiert, Achtsamkeit aber das Bewusstsein selbst. Es stellt gleichsam ein Grundlagentraining der Psyche dar, um darauf aufbauend optimale Leistung zu entfalten. Letztlich kann auch der talentierteste Athlet nur die Leistung abrufen, die von der Psyche freigegeben wird“ 

Jansen et al. (2018, S.212)

Wirkung von Achtsamkeit

„Ich begriff, dass ich nicht der Einzige bin, der mit diesem Problem der Leistungsschwankungen konfrontiert war und dass wettkampfangst, mangelnde Gelassenheit, der Verlust des Selbstvertrauens und der Konzentration die zentralen Probleme der Sportpsychologie sind. […] Ich bemerkte jedoch, dass diese klassischen Tools der Sportpsychologie nur die Symptome dieser Probleme behandelten und nicht das Problem an der Wurzel packten. Beim Lesen der Beiträge zu neusten Erkenntnissen der Gehirnforschung erfuhr ich, dass bestimmte Praktiken der Achtsamkeit markante Veränderungen im Gehirn erzeugen. Die Achtsamkeitspraktiken setzten in den Gehirnzentren an, die für die Wahrnehmung eigener Gefühle und Gedanken, Emotionsregulation, Konzentration und Gelassenheit verantwortlich sind.“

Darko Jekauc (2022, S.VI)

Widerstände bei sportpsychologischen Angeboten

Zwar sind die Vereine der 1. und 2. Bundesliga mittlerweile verpflichtet, einen Sportpsychologen anzustellen, jedoch wird das Angebot häufig nicht angenommen. Per Mertesacker beschreibt das Verhältnis zu seinem Sportpsychologen während seiner Zeit bei Werder Bremen in einem Interview: „Wenn er uns angesprochen hat, haben alle eigentlich immer nach dem Motto reagiert: Ich hab nichts, mir geht es gut, bleib weg von mir, ich will nicht mit dir reden.“ Viele Spieler haben Angst, dass ein Gespräch mit dem Sportpsychologen sportliche Konsequenzen für sie hat, oder dass sie beispielsweise ihren Stammplatz verlieren, wenn der Trainer mitbekommt, wie stark dem Spieler der Druck zu schaffen macht.

Windmann (2018, S. 97)

Sportpsychologisches Training

Norbert Elgert, der A-Jugendtrainer des FC Schalke 04, definiert mentale Stärke in einem Interview als „dann richtig gut zu sein, wenn es darauf ankommt“. Seiner Meinung nach bringen viele Nachwuchsspieler eine sehr ausgeprägte mentale Stärke bereits mit, doch sie kann auch antrainiert oder noch weiter ausgebaut werden. Dabei sollte prozentual für den mentalen Bereich mindestens genauso viel Zeit aufgebracht werden, wie für das Training mit dem Ball, um Spitzenleistungen in den entscheidenden Momenten abzurufen. Bei einem klassischen sportpsychologischen Training steht die Kontrolle im Mittelpunkt. Sportler erlernen negative Gedanken zu beseitigen und positive Emotionen hervorzubringen. Wenn ein Stürmer im Fußball beispielsweise eine gute Torchance vergeben hat, versucht er sich vorzustellen, dass er das Tor erzielt hat, um mit einem positiven Erlebnis die Situation abzuschließen.

Schlüter & Zander (2019, KMD #14, 22min)

Achtsamkeitstrainings

Gardner und Moore argumentieren, dass durch Achtsamkeit eine weitere Möglichkeit besteht, mit so einer Situation umzugehen. Bei wichtigen Wettkämpfen ist es nicht immer möglich, die mentalen Prozesse zu kontrollieren. Angst oder negative Gedanken können nicht immer unterdrückt oder eliminiert werden, der Versuch kann jedoch zu einer Störung der Selbstregulation führen, welcher wiederum zu einer Leistungsverschlechterung führen kann. Dies liegt daran, dass sich der Fokus der Aufmerksamkeit mit den eigenen Geistestätigkeiten auseinandersetzt und nicht auf der Bewegungsausführung liegt. Alle Gedanken werden bewusst und mit Akzeptanz wahrgenommen, egal ob es sich um positive oder negative handelt. So muss der Sportler nicht mehr versuchen, seine Geistestätigkeiten zu kontrollieren und negative Gedanken auszublenden. Er lernt stattdessen, sich nicht mehr mit seinen Gedanken zu identifizieren. Auch auftretende Glaubenssätze können als solche wahrgenommen werden, wodurch die Aufmerksamkeit und der Fokus ohne Wertung auf die Bewegungsausführungen gelenkt werden, kann. Dadurch kann die Leistungsfähigkeit gesteigert werden.

Gardner & Moore (2004; 2007)

Aufmerksamkeitskontrolle

Durch die Praxis der Achtsamkeit wird die Aufmerksamkeitskontrolle verbessert. Es ist die Fähigkeit, seinen Fokus anhaltend auf ein Objekt, wie beispielsweise den Atem, zu richten. Diese Fähigkeit ist vor allem zu Beginn der Achtsamkeitspraxis eine Herausforderung, lässt sich aber ebenfalls wie ein Muskel durch viele Wiederholungen trainieren. Im Wettkampf kann diese Fähigkeit die Konzentration vor Störeinfluss bewahren und beispielsweise bei der Ausführung eines Elftmeters unterstützen, den Geist zu beruhigen, die Gedanken auszublenden und die ganze Aufmerksamkeit auf den Bewegungsablauf zu richten.

Jansen et al. (2018); 7Mind (2021)

Emotionsregulation

Achtsamkeit verbessert auch die Emotionsregulation. Durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Bewusstsein, wird das Verständnis der Emotionen klarer. Sportler bekommen durch eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis ein Bewusstsein dafür, wie Emotionen entstehen und wie sie wieder losgelassen werden können. Im Wettkampf kann verhindert werden, dass störende Gefühle die Kontrolle übernehmen. Dadurch kann mit Misserfolgen und Rückschlägen gelassener umgegangen werden, beispielsweise bei missglückten Spielaktionen, Fehlern von Mitspielern oder Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern.

Jansen et al. (2018); 7Mind (2021)

Flow-Zustand

Regelmäßige Achtsamkeitspraxis trainiert die Fähigkeit, in einen Flow-Zustand zu kommen. Flow ist ein Zustand, in dem Spitzenleistung möglich ist. Er entsteht durch die Balance zwischen der Herausforderung der Situation und den eigenen Fähigkeiten, die notwendig sind, um diese Herausforderung zu bewältigen. Die Gemeinsamkeit von Achtsamkeit und Flow besteht aus der geistigen Präsenz im gegenwärtigen Moment zu sein, bei der die Konzentration auf die aktuelle Situation gelenkt wird. Durch die Verbesserung der Aufmerksamkeitskontrolle und Emotionsregulation kann es dem Sportler besser gelingen, den Flow zu erleben. Im Wettkampf kann diese Fähigkeit helfen, das ganze Potential der körperlichen und mentalen Leistung abzurufen und Spitzenleistungen zu erzielen.

Csíkszentmihályi (2015); Jekauc & Kittler (2015); Jekauc, Kittler & Schlagheck (2017)

Selbstbewusstsein

Durch Achtsamkeit verbessert sich das Selbstbewusstsein. Durch das Training des Bewusstseins können die eigenen mentalen Prozesse bewusster wahrgenommen werden. Dies wird auch als Meta-Bewusstsein bezeichnet, welches dabei hilft, die eigenen Gedanken aus einer Distanz zu beobachten. Dabei kann Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen mit mehr Offenheit und Akzeptant begegnet werden. Im Wettkampf kann diese Fähigkeit helfen, sich nicht von den eigenen Gedanken und Gefühlen in einer Negativspirale hinabziehen zu lassen und sich immer wieder den eigenen Stärken und Werten bewusst zu werden, um den eigenen Kampfgeist zu stärken.

Jansen et al. (2018)

Stressreduktion

Während des Praktizierens von Achtsamkeitsübungen ist eine Stressreduktion möglich. Da die eigenen Stoffwechselaktivitäten bewusst runtergefahren werden ist es dem Körper möglich angestauten Stress abzubauen, welcher sich in den letzten Stunden, Tagen, Monaten oder Jahren angestaut hat. Durch die bewusste Pause ist es dem Sportler möglich wieder zu Kräften zu kommen. Stress ist laut der Weltgesundheitsorganisation die größte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts und Studien zeigen, dass 90 Prozent der befragten Leistungssportler unter permanentem Leistungsdruck stehen. Achtsamkeit ist der Gegenpol zu Stress und kann diesen gezielt reduzieren.

Breuer & Hallmann (2013); Ressel (2017); Fletcher (2021)

Entspannung und Regeneration

Regelmäßige Praxis der Achtsamkeit verbessert die Entspannung und Regeneration. Über die bewusste Atmung ist es Sportlern möglich das vegetative Nervensystem selbst zu regulieren. Dies gelingt über die respiratorische Sinusarrhythmie, was bedeutet, dass das Herz mit der Einatmung etwas schneller schlägt und sich mit der Ausatmung verlangsamt. Durch das Training der Atmung kann der Sportler bewusst eine Entspannungsreaktion im Körper auslösen, wodurch sich das Nervensystem beruhigt und sich die Muskeln entspannen. Achtsamkeit wirkt dabei zwei bis fünfmal so stark wie die Regeneration, welche wir durch den Schlaf erlangen.

Ott (2010); Fletcher (2021)

Körperwahrnehmung

Achtsamkeit trainiert auch die bewusste Wahrnehmung der Körperempfindungen, wodurch sich die Trainingsbelastung besser steuern lässt. Die sportliche Leistung kann konstant gesteigert werden und der Sportler kann besser darauf achten, wo seine körperlichen Grenzen sind, um Verletzungen vorzubeugen. Im Wettkampf kann diese Fähigkeit dabei helfen, das Erregungsniveau des Körpers bewusst über die Atmung zu senken und einen Zustand aus wacher und gegenwärtiger Aufmerksamkeit herzustellen, welcher durch aufrechte Konzentration und Achtsamkeit entsteht. Ein bewusstes Abschalten und Regenerieren ist in Wettkampfpausen und nach dem Wettkampf möglich.

7Mind (2021)

> Studienlage „Achtsamkeit im Jugendfußball“ (Quelle: Masterarbeit von Henning Löhmer, 7. Juli 2021)

> Spitzenleistungen im Sport durch Achtsamkeitstraining (Quelle: Karlsruher Institut für Technologie, 4. November 2022)

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